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2013-12-12 | Nachricht

Ein Jahr Beschneidungsgesetz


Am 12.12.2012 verabschiedete der Deutsche Bundestag in seiner 213. Sitzung den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf §1631d BGB und beschloss somit nach nur wenigen Monaten das sogenannte „Beschneidungsgesetz“. Auslöser dafür, die religiös motivierte Beschneidung von Jungen rechtsverbindlich zu lösen, war die vorhergehende „Beschneidungsdebatte“. Nach dem Urteil des Landgerichts Köln vom 07.05.2012, in welchem dieses die religiös motivierte Beschneidung von Jungen als Straftatbestand (Körperverletzung) wertete, entwickelte sich schnell eine breite gesellschaftliche Debatte mit einer großen medialen Aufmerksamkeit. Während ein großer Teil dieser gesellschaftlichen Debatte seriös und ernsthaft geführt wurde, zeigte sich schnell auch eine Seite der Debatte, die Navid Kermani zu Recht als „vulgärrationalistisch“ bezeichnete.
Dabei ging es längst nicht mehr um die Abwägung von Kindeswohl, Religionsfreiheit und elterliches Sorge- und Erziehungsrecht. Es ging um die religionsfeindliche Zurückweisung von religiösen Ritualen mit dem Verweis auf Humanismus und Aufklärung. So sei die archaische Beschneidungstradition (von Jungen) längst überholt und passe nicht mehr in die durch Werte der Aufklärung und des Humanismus geprägte deutsche Gesellschaft. Die wichtige Diskussion um das Kindeswohl, welche auch nach diversen schlimmen Skandalen um Kindesmisshandlungen und Kindesvernachlässigungen innerhalb der zuständigen Behörden aufkam, geriet dabei mehr und mehr in den Hintergrund.
Auch Akteure und Verbände, von denen nicht angenommen werden kann, dass sie antisemitisch oder islamfeindlich sind, verwendeten Aussagen und Begriffe, wie sie sonst aus den islam- und judenfeindlichen Zirkelargumentationen bekannt sind. Worte wie „Vorhautamputation“ und „Zwangsbeschneidung“ sind nur ein Beispiel. Solche Worte zeichnen ein Bild von einem Judentum und einem Islam, dessen Anhänger archaischen, grausamen und überholten, irrationalen Traditionen anhängen, auch dann, wenn dies dem Wohle ihrer eigenen Kinder schade.

Zum einen zeigt dies mal wieder exemplarisch, wie viel Schaden selbst einzelne Wörter verursachen können und wie unreflektiert inzwischen menschenfeindliche Argumentationsmuster in hitzigen Debatten übernommen werden. Scheinbar unbewusst werden diese Muster mit zunehmender Dynamik einer Debatte benutzt, schlichtweg weil sie funktionieren. An einem notwendigen Problembewusstsein diesbezüglich mangelt es.
Der Bielefelder Sozialpsychologe Andreas Zick sprach 2010 bereits von der Notwendigkeit einer „Kultur der Norm“, welche eindeutig islamfeindliche Agitationen „im Namen von Aufklärung, Rationalität und Humanismus“ als Feindlichkeit ächtet. Scheinbar im Namen von Aufklärung, Humanismus und Rationalität sprechend, wird schlichtweg eine kulturalistische Ausgrenzungsrhetorik betrieben. Rassismuskritischer Sprachgebrauch oder angemessen Würde oder Versachlichung der Diskussionsdynamik – Fehlanzeige!

Den Islam als Hort der Antimoderne zu brandmarken, ist dabei zu einer Strategie avanciert. Es ist also eine Art Doppelstigmatisierung, bei der man sich positiv besetzte Werte von Moderne und Aufklärung zu Eigen macht und seine diesen eigentlich entgegen stehenden geschlossenen Weltbildern gegen Minderheiten und gegen Andersdenkende richtet. Vor Allem Rechtsextreme und Rechtspopulisten nutzen diese Strategie mehr und mehr. Positiv besetzten Werten wie Kindeswohl, Meinungsfreiheit, Tierschutz etc. werden konstruierte Minderheitengruppen entgegen gesetzt. Wer nicht zu dieser Minderheit gehört und trotzdem nicht so denkt, der „verrate“ eben diese hart erkämpften Werte. Eine perfide Strategie, welche treffend als „politische Mimikri“ (Grumke 2010) beschrieben wurde. Identitätssicherung durch Minderheitenausgrenzung und „politische Mimikri“ fanden und finden sich leider auch innerhalb der „Beschneidungsdebatte“ wieder. Eine Differenzierung von weiblicher Genitalverstümmelung und Beschneidung von Jungen wird dabei allzu oft gar nicht mehr vorgenommen und immer wieder gleich gesetzt.

Es geht einmal mehr darum, sich Ausgrenzungen durch Sprache und menschenfeindlicher Tarnstrategien bewusster zu werden, sie zu erkennen und als das zu ächten, was sie sind: eine ernstzunehmende Bedrohung unseres gesellschaftlichen Friedens und des gedeihlichen Miteinanders.

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DITIB-Dachverband