Freitagspredigt

Zu Beginn eines neuen Jahres

بِسْمِ اللهِ الْرَّحْمَنِ الْرَّحِيمِ

يَا اَيُّهَا الَّذِينَ اٰمَنُوا اتَّقُوا اللّٰهَ وَلْتَنْظُرْ نَفْسٌ مَا قَدَّمَتْ لِغَدٍ وَاتَّقُوا اللّٰهَ اِنَّ اللّٰهَ خَبِيرٌ بِمَا تَعْمَلُونَ

Bismillāhirrahmānirrahīm
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen)
“O ihr Gläubigen! Habt Ehrfurcht vor Allah. Und ein Jeder achte auf das, was er vorausschickt für morgen. Habt Ehrfurcht vor Allah, denn Allah hat Kunde über das, was ihr macht.“

[Sure Haschr, Vers 18]


Verehrte Geschwister,

ein Jahr mit Höhen und Tiefen liegt nun hinter uns. Und damit auch ein weiteres Lebensjahr. Die einen haben Familienzuwachs bekommen, die anderen mussten vielleicht den einen oder anderen ihrer Lieben aus diesem Leben verabschieden. Nicht wenigen Menschen ist in dieser Zeit die Stimme des Islam in ihre Herzen gedrungen und hat sie auf den rechten Weg geleitet – den Weg des Islam. Andererseits hat die muslimische Gemeinschaft weltweit, die Umma, so manche Katastrophe erlebt, die den Menschen mit gesundem Menschenverstand nicht nur den Schlaf geraubt, sondern ihnen auch das Herz hat bluten lassen.

Der Mensch, inspiriert und geleitet durch die erhabene Offenbarungsschrift des Islam, den Koran, dürfte eigentlich nicht abweichen vom rechten Pfad. Denn die Botschaft des Koran leuchtet sie ihm deutlich. Wir sehen ihn jedoch so manches Mal sich verlieren in der Moderne und ihren Auswüchsen. Eintauchen in diese Welt. Sich hier einhüllen lassen von den Anreizen der Moderne wie des Kapitals. Insgesamt in einer Unersättlichkeit und Maßlosigkeit in weltlichen Dingen sich verfangen. Und schließlich vergessen hierdurch den Grund seiner Existenz.

Terror, Gewalt, die Einschränkung des Menschen in seinen Rechten und Freiheiten, Hunger und Armut. Dies waren die Themen, die die Menschheit beschäftigt haben. Desgleichen mussten wir in so manch einem Teil der islamischen Welt blutige Kämpfe mit ansehen. Kämpfe, ausgebrochen aus konfessionellem und Rassedünken, denen unschuldige Menschen zum Opfer gefallen sind.

Verehrte Geschwister,

genauso wie unser Sein auf Erden nicht sinnlos ist, ist auch der Tod nicht einfach ein Fortgang: Das Leben ist uns nur eine Plattform, um gute Taten zu verrichten, ein Ort der Prüfung. Und der Tod schließlich der Übergang in das nächste, das ewige Leben, in dem wir dann für diese Taten entlohnt werden. So sollte der Mensch in regelmäßigen Abständen zurückblicken und sich fragen, ob er bei seinem Handeln dies auch vor Augen hatte. Ob er sich auch darauf vorbereitet hat. Wo und wie er seine Zeit verbracht hat.

Verehrte Gläubige,

anbetracht dessen sollten wir alle in Ehrfurcht vor Allah und im Bewusstsein auch um unsere religiöse Verantwortung, zurückblicken auf das nun vorübergehende Jahr und unser Handeln rückblickend bewerten. Uns selbst zur Rechenschaft ziehen und dabei fragen, ob wir in unserem Handeln auch gedacht haben an folgende Aufforderung des Koran: “O ihr, die ihr glaubt! Habt Ehrfurcht vor Allah. Und ein Jeder achte auf das, was er vorausschickt für morgen. Habt Ehrfurcht vor Allah, denn Allah hat Kunde über das, was ihr macht.“ [1]

Hatten wir im vergangenen Jahr diesen Vers auch alle vor Augen bei unserem Handeln und Tun? Haben wir diesen befolgt und uns auf das “Morgen”, das Jenseits vorbereitet? In unserem Handeln daran gedacht, dass wir dort nur empfangen, was wir hier “vorausschicken”? Dass uns dort nur wieder begegnet, was wir hier tun? Nach diesem Vers hat Allah Kunde über alles, was wir tun oder noch tun werden. Dann sollten wir uns an dieser Stelle alle folgende Fragen beantworten:


- Kenne ich meine Religion auch richtig?

- Stelle ich mich fünfmal am Tag zum Gebet auf und habe ich dabei auch die richtige Inbrunst im Herzen?

- Verbringe ich meine freie Zeit und meine Nächte genügend auf der Suche nach Wissen, nachdenkend über den Schöpfer und Seine Schöpfung und in Anbetung Seiner? So, dass sich einstellen die Dinge, die ich als gläubiger Mensch brauche: Liebe zum Schöpfer, Erkenntnis (irfān) und die reine Absicht (ichlās)?

- Enthalte ich mich auch von den Verboten der Religion: von Alkohol, Glücksspiel, Augendienerei, Lüge und Ausbeutung? Achte ich auch darauf, die Rechte der Anderen nicht zu übertreten? Achte ich auf all diese Dinge, die der gesunde Menschenverstand genauso verbietet wie die religiösen Bestimmungen?

- Bestreite ich meinen Lebenserwerb auf rechtmäßigem (halāl) Weg? Achte ich auch genügend darauf, hier keine Grenzen zu übertreten?

- Tue ich auch genügend dafür, damit sich in der Gesellschaft die Moral, das Bildungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem durchsetzen, die mir meine Religion vorzeichnet und die ich mir wünsche? Gehe ich meiner Verantwortung hierdrin genügend nach?

- Repräsentiere ich als europäischer Muslim meine Religion in dieser Gesellschaft auch gut genug? Werde ich dieser Würde auch gerecht und gebe ich ein gutes Bild vom Islam ab? Bin ich auch stark genug, dieses Bild in die Gesellschaft hineinzutragen, wenn ich alleine wäre?

Verehrte Geschwister,

der gestrige Tag ist nun vorbei. Ob wir den morgigen erreichen ist uns nicht gewiss. Was wir in Händen haben, ist allein der heutige, der gegenwärtige Tag. Diesen sollten wir alle gut zu nutzen wissen. Ein weiteres Jahr haben wir nun hinter uns gelassen und stehen am Beginn eines neuen. Zu Beginn eines neuen Jahres sollte uns nichts so wichtig sein, wie unsere eigene Revision und unsere Rechenschaft vor uns selbst. Wir sollten uns nun alle fest vornehmen, die Fehler des vergangenen Jahres auch hier zu belassen und diese im neuen Jahr nicht zu wiederholen. Dazu gehört auch, dass wir uns für das neue Jahr feste Ziele stecken und aufbrechen zu neuen Ufern. Wir sollten uns nun alle die Frage stellen, was wir im vergangenen Jahr für uns, unsere Gemeinschaft aber auch die ganze Menschheit getan und im kommenden Jahr tun können, um uns als Menschheit voranzubringen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Ihnen gemeinsam mit Ihren Lieben noch viele Neuanfänge zuteil werden.

[1] Haschr, 59/18.

Imran ÇELİK
Religionsbeauftragter der DITIB-Moschee in Bergheim

2012-12-28    


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