Freitagspredigt

Die Bedeutung des Verstands

بِسْمِ اللهِ الْرَّحْمَنِ الْرَّحِيمِ

اَفَمَنْ يَعْلَمُ اَنَّمَا اُنْزِلَ اِلَيْكَ مِنْ رَبِّكَ الْحَقُّ كَمَنْ هُوَ اَعْمٰى اِنَّمَا يَتَذَكَّرُ اُولُوا الْاَلْبَابِ

Bismillāhirrahmānirrahīm
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“Derjenige, der erkennt, dass das, was dir von deinem Herrn herabgesandt wurde, wahr ist. Kann er gleich sein demjenigen, der (so) blind ist, (dass er dies nicht sieht)? Dies begreifen nur die Verständigen.“

[Sure Ra’d, Vers 19]

قَالَ رَسُولُ اللهِ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِ وَ سَلَّمَ :

الْكَيِّسُ مَنْ دَانَ نَفْسَهُ، وَعَمِلَ لِمَا بَعْدَ الْمَوْتِ. وَالْعَاجِزُ مَنْ أَتْبَعَ نَفْسَهُ هَوَاهَا، وَتَمَنَّى عَلَى اللهِ


Unser Prophet (saw) sagte:

“Wirklich klug ist derjenige, der sich (sein nafs) zurückhält und für die Zeit nach dem Tod arbeitet. Und unvermögend derjenige, der seinen Begierden hinterherläuft und Allah um nutzlose Dinge bittet.”


[Tirmizī, Qiyāma, 25; Ibn Mādscha, Zuhd, 31]


Verehrte Muslime,

Allah, der Erhabene, schuf den Menschen auf die schönste Art und Weise und gab ihm zudem Gaben zuhauf. Gaben materieller und immateriell-geistiger Art. Zu einem dieser gehört die Verstandesbegabung des Menschen. Mit dieser Gabe unterscheidet er sich von den übrigen Geschöpfen - gehört er zu den ausgezeichneten unter ihnen. Denn durch diese Gunst Allahs ist er imstande, sein Tun und Handeln nach diesem Verstand auszurichten, die Wahrheit zu erkennen und geleitet und beschützt von diesem seinen Verstand wieder das Wohlwollen Allahs zu erlangen.

Der Verstand ist auch Motor allen Wissens. Ohne Verstand könnten wir das Unwissen nicht überwinden, in vielen Dingen im Dunkeln tappen. Der Verstand ist es auch, der die Menschen davor schützt, abzukommen vom rechten Weg. Vorausgesetzt natürlich, dass diese Gabe auch richtig eingesetzt wird. Er, unser Verstand, wird uns zu dem leiten, das richtig und wohlbringend ist. So sagte auch unser Prophet (saw) dereinst: “Wem Verstand gegeben ist, fürwahr, der ist errettet.” [1]

Verehrte Gläubige,

der Islam richtet sich an diejenigen, die verstandesbegabt sind. Diese sind es, die er anspricht, denen er Pflicht und Verantwortung auferlegt. Dies geht soweit, dass er beim Menschen zunächst Verstand voraussetzt, bevor er ihn für religionsmündig (mukallaf) erklärt und von ihm die Einhaltung der Ge- und Verbote abverlangt. Der Prophet (saw) selbst bestätigte, dass Menschen ohne geistige Reife, ohne Verstandesbegabung nicht verantwortlich wären im religiösen Sinne. [2] Die islamische Tradition formuliert daher prägnant: „Wer keinen Verstand besitzt, hat auch keine Religion.“ Zudem zählt der Islam den Verstand zu den fünf Elementen, die er schützen will. Ihn zu schützen formuliert er auch ein Verbot für alle Formen von Rauschmitteln (Alkohol, Drogen usw.), die den Verstand benebeln, ihn ganz ausschalten und hier insbesondere auch Langzeitschäden anrichten. [3]

Verehrte Gemeinde,

so wichtig die Stellung auch ist, die dem Verstand zukommt. Ihn zu besitzen alleine reicht nicht aus für die Errettung des Menschen. Denn nicht alle Menschen sind im selben Maße im Stande, dank ihres Verstandes den wahren Weg zu finden. Manche setzen ihren Verstand falsch, oder auf falschen Wegen ein. Um eben dies zu verhindern, hat Allah den Menschen Propheten gesandt, die ihnen den richtigen Weg weisen. Und sie daran erinnern, dass sie Errettung finden, wenn sie diesen Propheten und ihrer Botschaft glauben und umgekehrt untergehen diejenigen, die leugnen diese Botschaft und aufbegehren dagegen. [4]

Ein Verstand, der nicht einhergeht auch mit Glauben, ist demnach ein blinder: “Derjenige, der erkennt, dass das, was dir von deinem Herrn herabgesandt wurde, wahr ist. Kann er gleich sein demjenigen, der (so) blind ist, (dass er dies nicht sieht)? Dies begreifen nur die Verständigen.“ [5] Ein solcher Verstand ohne Glauben ist also unvollständig. Natürlich legt dieser Glaube dann auch Wert auf Wissen, Denken und Forschen. Ein Verstand, der nicht vermengt wird hiermit, ist nicht produktiv und kann sich nicht weiter entwickeln. Dabei weisen uns Koran und Sunna auf die Bedeutung dessen hin. Der Verstand wird hier ebenso betont, wie das Nachdenken, das Lernen und Forschen befohlen wird.

Verehrte Brüder und Schwestern,

Muslime werden nur in dem Maße sich weiter entwickeln können, wie sie diese Gabe Allahs, ihren Verstand auch einsetzen und parallel dazu auch Bildung und Forschung vorantreiben. Unsere Rückständigkeit können wir in diesem Zusammenhang auch zurückführen auf unser eigenes Verhalten. Wer seinen Verstand nicht nutzt, nicht liest und studiert, wer nur nachahmt eklektisch ohne selbst zu reflektieren, ohne zu hinterfragen und nur blind befolgt, was die Altvorderen hinterlassen, der kann auch keinen Fortschritt erwarten.

Gleichzeitig dürfen wir dieses kostbare Gut aber auch nicht vergeuden, indem wir ihn einsetzen für weniger nutz- und wohlbringende Dinge - folgend unserer inneren Stimme, die uns dieses begehren lässt, unserem nafs. Wir sollten uns allzeit darüber bewusst sein, dass uns unser Verstand gegeben ist, auf dass wir mit ihm das ewige Glück uns vorbereiten und ihn mehr noch gebrauchen für gute Taten, die uns dies einbringen.

In diesem Sinne gemahnt uns auch der eingangs vorgetragene Hadis unseres Propheten (saw): “Wirklich klug ist derjenige, der sich (sein nafs) zurückhält und für die Zeit nach dem Tod arbeitet. Und unvermögend derjenige, der seinen Begierden hinterherläuft und Allah um nutzlose Dinge bittet.” [6]

Verehrte Muslime,

die Unterschiedlichkeit der Menschen in Rasse, Herkunft, Sprache und Hautfarbe ist gottgegeben. Der Islam betrachtet diese Unterschiedlichkeit als Zeichen des Schöpfers. Wer einen Menschen daher wegen seiner Herkunft oder seiner Sprache diskriminiert, begeht ein Verbrechen an der Menschheit und macht sich schuldig vor dem Schöpfer. Einen Menschen gar wegen seiner Religion und seiner Herkunft zu töten, dies ist ein Verbrechen, das in allen Religionen zu den großen Sünden gehört.

Vor nun fast genau einem Jahr hat für die Opfer der NSU-Morde - in der Öffentlichkeit besser bekannt als “Döner-Morde”-, ein staatlicher Gedenkakt stattgefunden. Vor dem Hintergrund des nahenden Jahrestags dieses Gedenkakts wollen wir daran erinnern, dass wir die Opfer dieser Morde, die nur getötet wurden, weil sie Türken bzw. Muslime waren, nicht vergessen haben. Wir schließen sie heute besonders in unsere Gebete ein. Möge Allah sie in seine Barmherzigkeit aufnehmen und ihren Hinterbliebenen Geduld schenken.

[1] Bayhāqī, Schuabu’l- Imān, 4/159.
[2] Tirmizī, Hudut, 1.
[3] Māida, 5/90.
[4] Nisā, 4/13; A‘rāf, 7/157; Yūnus, 10/17.
[5] Ra‘d, 13/19.
[6] Tirmizī, , Qiyāma, 25; Ibn Mādscha, Zuhd, 31.

Idris Ertürk
Religionsbeauftragter der Osmangazi-Moschee in Berlin

2013-02-22    


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