[an-Nisa, 4/1]

Geehrte Geschwister,

die Verwandschaft und angeheiratete Verwandte stellen gesegnete Verbindungen dar und ihre Quelle ist göttlichen Ursprungs. Egal was der Grund ist, erlaubt es unsere Religion keineswegs, diese Beziehung zu beeinträchtigen und abzubrechen. Denn das Verhältnis des Menschen zu anderen Menschen formiert sich entsprechend der Beziehungen zu den eigenen Verwandten. Wie kann demnach ein Mensch gutes Verhältnis zu den anderen Menschen knüpfen, ohne gute Beziehungen mit den eigenen Verwandten zu haben? Im edlen Koran wird mit dem Vers "Und dient Allah und gesellt Ihm nichts bei. Und zu den Eltern sollt ihr gütig sein und zu den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem verwandten Nachbarn, dem fremden Nachbarn, dem Gefährten zur Seite, dem Sohn des Weges und denen, die eure rechte Hand besitzt. Allah liebt nicht, wer eingebildet und prahlerisch ist." ein Teil der Aufgaben der Muslime aufgezählt. Eines der Wege, um mit den im Vers angesprochenen Gruppierungen gute Beziehungen knüpfen zu können, ist es, Besuche abzustatten, welches innerhalb der Pflege der Verwandtschaftsbeziehungen (sıla i rahim) bewertet wird, ja vielleicht auch die Essenz dessen bildet. Denn unzählige allein lebenden Mütter, Väter und Verwandten warten sehnsüchtig auf einen Freund, ein Kind und einen Verwandten, welche nach ihrer Situation und dem Wohlergehen fragen und ihre Sorgen teilen. Es ist eine Realität, dass wir von Tag zu Tag alleiner werden. Sowohl unsere Beziehungen zu den Verwandten als auch zu den übrigen Menschen lassen nach. Die Menschen um uns herum und ihre Probleme gehen uns jeden Tag etwas weniger an. Wir nähern uns sehr rasch dem Zustand, die innere Ruhe, die Freude, den Kummer, den Wohlstand oder die Armut individuell auszuleben. Und das, obwohl Probleme und Kummer sich verringern, wenn man sie mit anderen teilt und ebenso die Freude an Bedeutung gewinnt, wenn man sie miteinander teilt. Unsere Ethik, unser Handel, unsere Kunst, die Kultur des Ausruhens und der Freizeit sowie unsere zwischenmenschlichen Kontakte degenerieren sich zunehmend. Die wichtigsten Gründe dafür werden wohl die durch die moderne Welt dargebotene Lebensweise und die Abkehr von unseren eigenen Werten sein. Je mehr man sich den Städten nähert, desto mehr verschwächen sich die Verwandtschaftsbeziehungen. Jedoch gebietet es unsere Religion einerseits, die Verwandtschaftsbeziehungen nach Möglichkeit zu stärken und andererseits sich der in Bedrängnis geratenen unter den Verwandten anzunehmen und sie zu beschützen.

Verehrte Gemeinde,

ich möchte Ihnen einen Bund von Hadithen präsentieren, worin seitens des Propheten die Bedeutung der Pflege von Verwandtschaftsbeziehungen betont wird: "Wer möchte, dass Allah ihnen die Gaben vermehrt und die Todesstunde (ecel) aufschiebt, der soll die Verwandtschaft pflegen." "Einem Bedürftigen etwas zu geben ist eine Spende (Sadaka). Einem Verwandten etwas zu geben hat doppelten Wert. Das Eine ist die Wohltat für die Spende und das Andere für das Sich-Kümmern um den Verwandten." Wiederum hat der Prophet gesagt; "Wer die Güte eines Verwandten genauso erwidert, hat die Verwandschaft nicht in vollem Umfang gepflegt. Die Verwandschaft wird dann im wahren Sinne gepflegt, wenn man sich um diejenigen kümmert, die gerade die Beziehungen abgebrochen haben." Vor dem Hintergrund dieser Verse und Überlieferungen kann ein Gläubiger die Beziehung zu seinen Verwandten nicht mehr abbrechen. Auch sogar ihren blästigenden oder unakzeptablen Verhaltensweisen gegenüber den Verwandten Güte zu erweisen und ihnen zu helfen wäre die Aufgabe der Gläubigen.

Verehrte Musliminnen und Muslime,

Ihnen, meinen Geschwistern, die tausende Kilometer weite Wege in Ihre Ursprungsländer zurücklegen, um ihre Sehnsucht zu den Verwandten, den Freunde sowie der Heimat zu stillen, möchte ich folgendes in Erinnerung rufen, dass auf dem Weg in die Heimat und auch in der Heimat Personen und Persönlichkeiten unseren Besuch erwarten, die den Geschichtsverlauf beeinflusst haben und der Menschheit die Wege erleuchtet haben, sowie unsere Märtyrer und ihre Werke uns erwarten. Sie im Rahmen der Möglichkeiten an ihren Gräbern zu besuchen, ist auch eine wichtige Aufgabe und Verantwortung von uns. Bitte vernachlässigen Sie auch diese Verantwortung nicht. Lassen Sie mich unsere Freitagspredigt mit der Bedeutung des am Anfang zitierten Verses beenden: „O ihr Menschen, [...] fürchtet Allah, in Dessen (Namen) ihr einander bittet, und fürchtet die Rechte der Verwandtschaftsbande. Gewiß, Allah ist Wächter über euch.“


Koranübersetzung leicht geändert aus: www.islam.de, an-Nisa, 4/1
1. an-Nisa, 4/36
2. Buhari Edep, 12
3. Nesai, Zekât 82; Tirmizi, Zekât 26; İbn Mâce, Zekât 28
4. Buhari, Edep, 15
5. an-Nisa, 4/1
        
                                                                          
Hayri CİHANGERİ                                                                                                  
Religionsbeauftragter, Frankfurt-Giessen