Freitagspredigt

Die verwandtschaftlichen Bande


بِسْمِ اللهِ الْرَّحمَنِ الْرَّحِيمِ
 وَاعْبُدُوا اللّٰهَ وَلا تُشْرِكُوا بِهِ شَيْـًٔا وَبِالْوَالِدَيْنِ اِحْسَانًا وَبِذِي الْقُرْبى وَالْيَتَامٰى وَالْمَسَاكِينِ وَالجَارِ ذِي الْقُرْبى وَالجَارِ الجُنُبِ وَالصَّاحِبِ بِالجَنْبِ وَابْنِ السَّبِيلِ وَمَا مَلَكَتْ اَيمَانُكُمْ اِنَّ اللّٰهَ لاَ يحِبُّ  مَنْ كَانَ مخْتَالا فَخُورًا


Bismillāhirrahmānirrahīm

[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“Betet Allah an und gesellt Ihm nichts bei! Dann, seid gut zu euren Eltern, euren Verwandten, den Waisen, Bedürftigen, den Nachbarn in Nah und Fern, den Freunden, den Reisenden und denjenigen, die unter eurem Befehl stehen. Denn Allah liebt diejenigen nicht, die da stolz und überheblich sind.”

[Sure Nisā, Vers 36]

Verehrte Muslime,

der Mensch ist kraft seiner Schöpfung ausgestattet mit Verstand und ihm sind dargeboten die Gaben dieser Welt. Damit obliegen ihm auch gewisse Aufgaben und Verantwortung. So z.B. die Verantwortung gegenüber seinen Verwandten. Er muss den Kontakt zu ihnen halten, sie besuchen, sich nach ihrem Befinden erkunden, schauen, ob es ihnen gut geht. Er muss damit ihre Herzen gewinnen und - falls nötig - ihnen in ihren Problemen beistehen. Die islamische Literatur spricht hier von den „Banden zu den Verwandten“, die gehalten werden müssen.

Demnach müssen die Reichen ihren Besitz mit ihren Verwandten teilen. Diejenigen, die sich in einer Sache auskennen, ihr Wissen, die Erfahrenen ihre Erfahrung usw. Jeder eben das, was er in Händen hat und damit seine Verwandten mit und in seinen Stärken unterstützen.

Wer seinen Verwandten sein Wissen vorenthält oder ihnen nicht hilft, obwohl er weiß, dass diese Hilfe brauchen oder in Saus und Braus lebt, wo seine nächsten Verwandten Armut leiden, begeht daher eine Sünde.

Verehrte Gläubige,

der Schutz der Familie und der verwandtschaftlichen Bande gilt dem Islam als Grundvoraussetzung für den gesellschaftlichen Frieden. So sind z.B. bei finanziellen Nöten innerhalb einer Familie zunächst deren Mitglieder in der Verantwortung, sodann die nächsten Verwandten. Und diese Verantwortung weitet sich wellenartig aus. Sie gilt zunächst unseren nächsten Verwandten: der Reihe nach unseren Eltern, unseren Kindern, Geschwistern und den anderen Verwandten. Diese Verantwortung ist aber auch keinesfalls beschränkt allein auf unsere Blutsverwandten. Wir sind als Muslime vielmehr in der Pflicht, auch den Waisen zu helfen, den Bedürftigen und Notleidenden, sogar den Nachbarn und unseren Freunden. So ermahnt uns der Koran hierzu wie folgt: “Betet Allah an und gesellt Ihm nichts bei! Dann seid gut zu euren Eltern, euren Verwandten, den Waisen, Bedürftigen, den Nachbarn in Nah und Fern, den Freunden, den Reisenden und denjenigen, die unter eurem Befehl stehen. Denn Allah liebt diejenigen nicht, die da stolz und überheblich sind.” [1]

Verehrte Brüder und Schwestern,

die moderne Gesellschaft zeichnet sich insbesondere durch eine starke Individualität der Menschen aus. Sie kann zuweilen soweit ausgeprägt sein, dass der Mensch - obwohl in Gesellschaft lebend - doch sehr einsam und allein ist. Gerade in dieser Situation ist es uns Muslimen eine soziale wie humane Pflicht, uns um unsere Mitmenschen zu kümmern.

Dabei gilt es zunächst die Bande zu unseren Verwandten zu halten wie besprochen. Darüberhinaus stehen wir aber auch in der Pflicht, all den anderen Bedürftigen beizustehen, die in Gesellschaft lebend aber trotzdem alleine sind. Und alleine lassen dürfen wir hier insbesondere nicht Kinder und Jugendliche, die auf die eine oder andere Art verwaist sind.

Die Jugendämter sind gesetzlich angehalten, bei Kindeswohlgefährdung ein Kind in Obhut zu nehmen und einer Pflegefamilie zu übergeben. Gelegentlich kann die Obhutnahme zu einem Dauerzustand werden. Wir erleben, dass zuweilen auch muslimische Kinder und Jugendliche in nichtmuslimischen Pflegefamilien unterkommen. Die Kinder wachsen dann nicht in ihrer originären muslimisichen Umgebung auf. Mitunter kann dies auch dazu führen, dass sie nicht zu ihrer wahren Identität und Zugehörigkeit finden.

Wir als Muslime in Deutschland können hier sehr viel tun. Die Jugendämter betreuen die Pflegefamilien. Auch muslimische Familien können sich als Pflegefamilie bewerben, um den Jugendämtern die Gelegenheit zu bieten, muslimische Kinder in muslimische Pflegefamilien zu geben.

Wer hierzu nicht im Stande ist, aber im Freundeskreis seiner Kinder oder sonst ein muslimisches Kind kennen lernt, das in einer Pflegefamilie untergebracht ist, kann diesem Kind zumindest besondere Aufmerksamkeit und Liebe schenken. Allen voran unseren eigenen Kindern, sollten wir den Kindern und Jugendlichen in unserer Umgebung Liebe und Aufmerksamkeit schenken und auch unsere Freunde, unsere Nachbarn und die Gemeinde hierzu anregen.

Verehrte Muslime,

eine Gesellschaft ist umso stärker, umso stärker die familiären Bande hier drin sind. Diese spielen sicherlich eine wichtige Rolle in einer Gesellschaft, in der die Einsamkeit tiefe Wunden schlägt, und können hier sicherlich Vieles wieder gut machen. Wir sind alle in der Pflicht, uns um unsere Nächsten zu kümmern. Angefangen von unseren Verwandten bis hin zu unseren Mitmenschen, die unserer Hilfe bedürfen. Und hierzu gehören unbedingt auch verwaiste bzw. allein gelassene Kinder und Jugendliche - auf dass wir Beistand sind denen, die allein dastehen! Dies gehört für uns Muslime, zu einem unserer wichtigsten Verantwortungen, die wir einzulösen haben.

Die heutige Predigt möchte ich an dieser Stelle beenden mit einem Hadis unseres Propheten (s.a.w.): “Wer sich der Waisen annimmt, ganz gleich, ob als Verwandter oder Nichtverwandter (nach diesen Worten zeigte der Prophet auf seinen Mittel- und Ringfinger), wird im Paradies mit mir sein.” [2]

[1] Nisā, 4/36.
[2] Abū Dāvud, Adab, 123.

Predigtkommission DITIB Köln

2012-07-06    


Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der DITIB reproduziert, vervielfältigt oder verarbeitet werden.

Archiv 2007-2008  | 2009-2010